Kelten

Kelten
Kẹlten,
 
griechisch Keltoi, lateinisch Cẹltae, Sammelname für keltische Sprachen sprechende Volksgruppen in Europa; älteste Erwähnungen durch Hekataios von Milet und Herodot mit Hinweisen auf Siedlungsgebiete in West- und Mitteleuropa. Wichtige Quellen für die Erforschung der Geschichte, Ethnographie und Kultur der Kelten sind v. a. die Schriften von Pytheas von Massalia, Polybios, Livius, Poseidonios, Caesar und Strabo. Zur Zeit ihrer größten Expansion im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. bewohnten die Kelten weite Gebiete im südlichen Mitteleuropa, in Westeuropa (Britische Inseln, Gallien, Iberische Halbinsel), im nördlichen Italien sowie in Südosteuropa und Zentralanatolien. Heute gibt es nur noch in Irland, Schottland, Wales und der Bretagne Keltisch sprechende Volksgruppen, die für die Bewahrung ihrer sprachlichen und kulturellen Identität eintreten. Der ehemals hohe Anteil der keltischen an der gesamteuropäischen Kultur ist durch Romanisierung und Germanisierung stark reduziert worden.
 
 
Über die Ethnogenese der keltischen Volksgruppen herrscht noch weitgehende Unklarheit. Aus archäologischer Sicht dürfte sie sich zur Zeit der Urnenfelderkultur vollzogen haben. Als keltisch geprägt werden die späte Hallstatt- und die La-Tène-Kultur angesehen, aber auch außerhalb dieser Kulturen gab es keltische Volksgruppen. Als Kernraum der frühen Kelten gilt das südwestliche Mitteleuropa, nachweisbar spätestens seit dem 7./6. Jahrhundert v. Chr. Von dort breiteten sie sich über Nordfrankreich auf die Britischen Inseln und über Südfrankreich bis auf die Iberische Halbinsel (Keltiberer) aus. Um 400 v. Chr. verließen keltische Volksgruppen, die schon lange in wirtschaftlichem Kontakt zu den mediterranen Völkern (v. a. Etruskern und Griechen) standen, ihre nördlich der Alpen gelegenen Siedlungsräume, um im Mittelmeerraum und in Südosteuropa sesshaft zu werden. Diese keltische Landnahme ist, da sie die Interessensphäre der Griechen und Römer berührte, durch Schriftquellen überliefert; überdies wird sie auch im Namensgut und in der Bildwelt der hellenistischen Kunst erkennbar.
 
Seit etwa 400 v. Chr. drangen keltische Stämme (v. a. Cenomanen, Insubrer, Senonen und ein Teil der Boier) in Oberitalien ein und siedelten sich nach Einnahme der etruskischen Orte Melpum (keltisch Mediolanum, heute Mailand) und Felsina (keltisch Bononia, heute Bologna) nördlich und südlich des Po an (Gallien). Von hier aus stießen Teile der von den Römern als Gallier bezeichneten Kelten 387/386 v. Chr. über Etrurien nach Süden vor, schlugen das römische Heer an der Allia und besetzten unter dem senonischen Führer Brennus mehrere Monate lang Rom mit Ausnahme des Kapitols. In der nachfolgenden Zeit immer wieder mit den Römern in Kämpfe verwickelt, wurden die in Italien siedelnden Kelten im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. schließlich von diesen besiegt, unterworfen und romanisiert.
 
Um 300 v. Chr. fielen keltische Volksgruppen, ausgehend von den seit etwa 400 v. Chr. eingenommenen Siedlungsgebieten im Raum der heutigen Tschechischen Republik und der Slowakischen Republik, Südpolens, Ungarns, Sloweniens und Kroatiens, in Thrakien, Makedonien und Griechenland ein. Sie eroberten Delphi (mit Ausnahme des dortigen Heiligtums), wurden jedoch 279 v. Chr. von einem griechischen Heer geschlagen. In Thrakien kam es zur Gründung eines keltischen Staates (Königreich von Tylis), der bis 193 v. Chr. bestand. 278 überquerte eine Gruppe keltischer Stämme - von den Griechen als Galater bezeichnet - auf Ersuchen des bithynischen Königs Nikomedes I. den Bosporus und ließ sich nach Kämpfen gegen die Seleukiden in Zentralanatolien (Galatien) nieder. Die Donaukelten, v. a. die Taurisker, die Skordisker (sie gründeten Singidunum, heute Belgrad) und ein Teil der Boier, waren im südöstlichen Mitteleuropa und im Karpatenbecken lange Zeit vorherrschend.
 
Im 3. Jahrhundert v. Chr. reichte der keltisch geprägte Kulturraum von den Britischen Inseln bis nach Kleinasien, von der Iberischen Halbinsel bis Ostmitteleuropa; großflächige, straff organisierte »Staaten« waren jedoch - will man vom Königreich Tylis absehen - nirgendwo entstanden. Im 1. Jahrhundert v. Chr. gerieten die Kelten im südlichen Mitteleuropa und im transalpinen Gallien zwischen Germanen und Römer, die Eigenständigkeit der dort siedelnden Kelten ging in den Jahrzehnten um Christi Geburt endgültig verloren. Während germanische Stammesverbände aus Nord- und Mitteldeutschland nach Westen und Süden vordrangen, weitete Rom seine Macht bis zum Rhein und zur Donau aus. Der römischen Eroberung Galliens durch Caesar folgte im 1. Jahrhundert die Unterwerfung des durch den Zuzug der Belgen noch stärker keltisierten Britanniens; Schottland und Irland blieben frei von römischem Einfluss. Unter dem Druck angelsächsischer Eroberungen in Britannien wanderten im 5. und 6. Jahrhundert trotz Romanisierung weiterhin Keltisch sprechende Volksgruppen aus Wales und Cornwall in die heutige Bretagne ein. Gleichzeitig erfolgten vom keltischen Irland aus keltischen Landnahmen in Wales und Schottland.
 
 Siedlungswesen und Hausbau
 
Ein einheitliches keltisches Siedlungswesen hat es nicht gegeben, die zeitlichen und regionalen Unterschiede waren beträchtlich. Hausbau und Siedlungstypen stehen in einer nordalpinen Tradition. Unter den Wohngebäuden überwogen langrechteckige ein- oder zweischiffige Pfosten- oder Ständerbauten mit Lehm-Holz-Geflechtwänden und mit Firstsäulen- oder Sparrendachkonstruktion. Stall- und Wirtschaftsgebäude waren meist getrennt vom Wohnhaus angelegt. In Britannien, vereinzelt auch in Gallien, wurden Rundbauten errichtet. Wichtigste Siedlungstypen sind mit Mauer (Holz-Erde- oder Holz-Stein-Technik) und Graben befestigte Siedlungen (meist in natürlich geschützter Höhenlage), offene oder nur durch Palisaden geschützte Mehrgehöftsiedlungen sowie Einzelhofanlagen. Einzelne befestigte Siedlungen der Hallstatt- und der frühen La-Tène-Zeit können als politische und ökonomische Zentren beziehungsweise als Fürstensitze angesehen werden (Heuneburg, Mont Lassois); in Bauweise (Lehmziegelmauer der Heuneburg) und innerer Organisation lassen sie mediterrane Einflüsse erkennen. Im Verlauf des 2. Jahrhunderts v. Chr. entstanden nach dem Vorbild mediterraner Stadtanlagen erstmals im Europa nördlich der Alpen stark befestigte Großsiedlungen mit städtischem Charakter. Caesar hat diese in »Murus-Gallicus-Technik« befestigten Zentralorte keltischer Stämme oder Gaue als Oppida bezeichnet. Es handelte sich hierbei, wie Schriftquellen und archäologische Forschungen belegen, um Produktions-, Verwaltungs- und Kultzentren mit Münzprägung und Konzentration des Handwerks (Alesia, Bibracte, Manching). Neben den Oppida bestanden kleine Befestigungsanlagen (bei Caesar Castella genannt; z. B. Bundenbach), dorfartige Siedlungen (Vici) und Einzelhöfe (Aedificia) weiter.
 
 Wirtschaftliche Grundlagen
 
Grundlagen der Ernährungswirtschaft waren der Brotgetreide- (Weizen, Gerste, auch Roggen), Hirse- und Hülsenfrüchteanbau (Erbsen, Bohnen) sowie die Viehzucht (Pferd, Rind, Schwein, Schaf). Für Gallien sind Mergel- und Kalkdüngung sowie Pferdezucht mit wertvollen Importtieren aus Spanien überliefert. Das Handwerk stand auf einem hohen Niveau. Bei immer mehr zunehmender Spezialisierung wurden - v. a. in den Bereichen Bronzeverarbeitung und Gefäßkeramik - »industrielle« Produktionsmethoden angewendet. Nahezu alle Techniken der Metallgewinnung und -weiterverarbeitung sind denen der mediterranen Hochkulturen vergleichbar. Im 7./6. Jahrhundert v. Chr. wurden erstmals die Drehbank für Metall und Holz sowie die Töpferscheibe verwendet. Bernstein- und Korallenbearbeitung sowie Emaileinlagen spielten bei der Schmuckherstellung (Gold und Bronze, seltener Silber) eine wichtige Rolle. Keltischer Stellmacher und Schuster galten in Rom als Meister ihres Faches. Im 3. Jahrhundert v. Chr. setzte die Münzprägung ein (keltische Münzen).
 
 Gesellschaftsstruktur und politische Organisationsform
 
Wichtigste Quellen hierfür sind die antiken Autoren, die irischen Epen und die Grabfunde. Seit dem 6. Jahrhundert bestand eine hierarchisch gegliederte Ständegesellschaft mit einer aristrokratischen Führungsschicht. Das in der Frühzeit häufig belegte Königtum wurde bei den meisten Stämmen durch oligarchisch strukturierte Organisationsformen abgelöst. Caesar nennt einen aus Mitgliedern des Adels zusammengesetzten, gewählten Senat der Äduer mit auf Zeit gewählten »Vergobreten« als Vertreter der Exekutive. Soziale Schichten sind die »Equites« (berittener Adel, aus dem die »Principes« als Anführer herausragten), die »Plebs« als Masse des Volkes mit stark eingeschränkten Rechten sowie die »Ambactes« als Unfreie. Große Bedeutung für den Zusammenhalt der keltischen Gesellschaft hatte das Klientelwesen, ein auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruhendes Abhängigkeitsverhältnis, das zwischen Stämmen, Mitgliedern des Adels sowie dem Adel und der übrigen Bevölkerung geschlossen werden konnte.
 
 Tracht und Bewaffnung
 
Für Männer sind seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. Hose und ein kittelartiges Obergewand sowie ein von einer Fibel zusammengehaltener Umhang nachgewiesen, an Schmuck gelegentlich Armringe aus Eisen, Bronze oder Gold; nur aus hallstattzeitlichen Fürstengräbern sind große Goldblechhalsringe bekannt. Der von antiken Autoren und in der Kunst häufig dargestellte Torques aus Edelmetall als Attribut des keltischen Kriegers ist archäologisch nicht als solcher, sondern nur vereinzelt als Opfergabe in Weihefunden nachweisbar. Die Frauenkleidung bestand aus einem langen Untergewand, einem ärmellosen Kleid und einem Umhang, alles zusammengehalten mit mehreren Fibeln. An Schmuck gab es Halsringe aus Metall (vereinzelt aus Gold), Halsketten (Bernstein und Buntglas), Arm- und Beinschmuck aus Gold, Bronze und Eisen (in der Spätzeit aus Buntglas) sowie an der Hüfte getragene Metallketten. Zur Ausrüstung des keltischen Kriegers gehörten seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. Langschwert, Stoßlanze und Ovalschild. Aber auch Speer, Pfeil und Bogen sowie Schleuder waren bekannt. Außer Fußvolk und Reiterei setzten die in Italien und auf der Balkanhalbinsel einfallenden Kelten auch Streitwagenabteilungen ein. Im Totenbrauchtum spielte der Streitwagen als Statussymbol der Führungsschicht eine wichtige Rolle. Zur Zeit Caesars war er nur noch in Britannien im Einsatz. Die Nacktheit keltischer Krieger im Kampf, über die antike Autoren berichten, ist als kulturelle Nacktheit zu interpretieren.
 
 
J.-J. Hatt: K. u. Galloromanen (a. d. Frz., 1970);
 M. Szabó: Auf den Spuren der K. in Ungarn (Budapest 21976);
 P.-M. Duval: Die K. (a. d. Frz., 1978);
 D. Norton-Taylor: Die K. (a. d. Engl., Neuausg. 1978);
 V. Kruta u. E. Lessing: Die K. (1979);
 J. Werner: Spätes Keltentum zw. Rom u. Germanien (1979);
 
Die K. u. ihre Gesch., bearb. v. B. Cunliffe (a. d. Engl., 1980);
 
Die K. in Mitteleuropa, bearb. v. L. Pauli, Ausst.-Kat. (Salzburg 1980);
 
Die K. in Bad.-Württ., hg. v. K. Bittel u. a. (1981);
 M. Dillon u. N. K. Chadwick: Die K. (a. d. Engl., Neuausg. 1983);
 A. Furger-Gunti: Die Helvetier (Zürich 1984);
 J. Moreau: Die Welt der K. (Neuausg. 1985);
 
Gesch. u. Kultur der K., hg. v. Karl H. Schmidt (1986);
 H. Lorenz: Rundgang durch eine kelt. »Stadt« (1986);
 
Frühe Völker in Mitteleuropa, hg. v. F. Horst u. a. (Berlin-Ost 1988);
 
Griech. u. lat. Quellen zur Frühgesch. Mitteleuropas bis zur Mitte des 1. Jt. u. Z., Bd. 1: Von Homer bis Plutarch, hg. v. J. Herrmann (Berlin-Ost 1988);
 M. Richter: Die Kelten im MA., in: Histor. Ztschr., Bd. 246, H. 2 (1988);
 K. Spindler: Die frühen K. (21991).
 

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kelten — (a. Geogr.), s. Celten …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Kelten — (Celti, Celtae), Name eines Volkes des indogermanischen Sprachstammes. Wie der Name Germanen, ist auch der der K. nicht in der eignen Sprache des Volkes überliefert und würde auf keltisch Celtos, Mehrz. Celti, heißen, was sich mit dem… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Kelten — (lat. Celtae), indogerman. Völkerstamm, der im Altertum einen großen Teil Europas beherrschte. Man teilte sie ein in: 1) die eigentlichen K. oder Gallier in Südfrankreich und Oberitalien, 2) die Belgen in Nordfrankreich und Südbritannien, 3) die… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Kelten — Als Kelten (lateinisch celtae/ galli, griechisch keltoi/ galatai, „die Tapferen, Edlen“) bezeichnete man seit der Antike Volksgruppen der Eisenzeit in Europa. Inhaltsverzeichnis 1 Begriffsbestimmung 2 Verbreitung 3 Sprache …   Deutsch Wikipedia

  • Kelten: Im Lande der Druiden —   Die Kelten hätten wohl über die beiden Comic Helden Asterix und Obelix gelacht, sich in ihnen aber kaum wieder erkannt. Denn alles, was wir über die Kelten aufgrund schriftlicher und archäologischer Überlieferung wissen, widerspricht der… …   Universal-Lexikon

  • Kelten, westliche Hallstattkultur und La-Tène-Kultur —   Ganz Gallien zerfällt in drei Teile. Den einen bewohnen die Belger, den zweiten die Aquitaner, den dritten die Menschen, die in ihrer eigenen Sprache »Kelten«, in unserer »Gallier« heißen.« So lautet der bekannte erste Satz in Iulius Caesars… …   Universal-Lexikon

  • Kelten Römer Museum — Eingang des Kelten Römer Museums in Manching Kelten Röm …   Deutsch Wikipedia

  • Homosexualität bei den Kelten des Altertums — Obwohl die Kelten des Altertums einer mehrheitlich illiteraten Kultur angehörten, sind gleichgeschlechtliche Gepflogenheiten innerhalb der keltischen Gesellschaften für die Latènezeit sowie die römische Kaiserzeit durch die Berichte vorwiegend… …   Deutsch Wikipedia

  • Religion der Kelten — Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. Näheres ist auf der Diskussionsseite angegeben. Hilf mit, ihn zu verbessern, und entferne anschließend diese Markierung …   Deutsch Wikipedia

  • Abwehrkrieg gegen die Kelten — Als Abwehrkrieg gegen die Kelten wird aus römischer Sicht der Krieg gegen einige gallische Stämme um 400 v. Chr. bezeichnet. Hintergrund Einige gallische Stämme verließen gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. ihre Siedlungsgebiete an Oberrhein… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”